Im September 1935 verließ Spilliaert Ostende und ließ sich endgültig in Brüssel nieder. Ausschlaggebend dafür war das Klavierstudium der Tochter Madeleine am Konservatorium. In Brüssel entdeckte er den Park Wolvendael, den Bois de la Cambre und den Sonienwald, aber eine wirkliche Zäsur in seinem Schaffen bedeutete der Umzug nicht. Schon bald sollte ihm eine große Ehre zuteilwerden: 1936 hatte Spilliaert im berühmten Palast der Schönen Künste eine Einzelschau.

Ab 1937 besuchten Léon und Rachel das Landhaus des Rechtsanwalts Adolphe Van Glabbeke im Hohen Venn. Seit 1930 waren die Spilliaerts mit dem späteren Minister und Bürgermeister von Ostende befreundet. Die weitläufige, unberührte Natur faszinierte Spilliaert und vor allem Bäume wurden zum bevorzugten Motiv seines Spätwerks.

Die Brüder Luc und Paul Haeserts luden Spilliaert zu ihrer neuen Brüsseler Künstlergruppe Les Compagnons de l‘Art ein. Im August 1937 heiratete Tochter Madeleine Tony van Rossum, und am 13. September 1939 wurde Spilliaerts erstes Enkelkind, Irmingarde van Rossum, geboren.

Auch während des Zweiten Weltkriegs wechselte die Familie häufig den Wohnsitz. Im Mai 1940 fiel Ostende dem deutschen Bombardement zum Opfer. Das Gebiet um die Kapellestraat war stark betroffen: Nicht nur das Spilliaerts Elternhaus, sondern auch das Rathaus, in dem seine Werke neben denen von Ensor, Khnopff und anderen hingen, wurden zerstört.

Trotz seines schlechten Gesundheitszustands und des Krieges arbeitete Spilliaert weiter. Pierre Vandervoort gratulierte ihm zu seinem 60. Geburtstag aus Ostende, einer „düsteren Stadt an einer düsteren Küste“, so der befreundete Architekt.1 Spilliaert hatte zuvor geschrieben: „Nach dem Krieg wird alles wunderbar zwischen zwei Wellen wieder auferstehen.“2 Unterdes las der Künstler aufmerksam die Tagebücher von Eugène Delacroix.

In den letzten zehn Lebensjahren kreiste Spilliaerts Schaffen meist um Bäume. Mal waren es rhythmisch angeordnete Stämme wie in einem rätselhaften Wald, ein anderes Mal hoben sich die Zweige wie kalligrafierte Linien vom Himmel ab, umrahmt und losgelöst von ihren Stämmen und Wurzeln.

Spilliaert entwickelte eine neue Technik mit der Feder. Geduldig entstanden mit Hunderten feinen, kurzen Federstrichen Schraffuren und geometrische Formen auf dem Papier. Landschaften wie der Park Wolvendael faszinieren ihn nach wie vor. Ab 1944 arbeitete er fast ausschließlich mit dieser Technik, sowohl für seine Bäume als auch für eine Reihe Ansichten von Ostende. Als Hintergrund verwendete er helles Aquarell.3 Im Mai 1944, gegen Ende des Krieges, stellte er viele seiner Baumkompositionen im Palast der schönen Künste in Brüssel aus.

Spilliaert litt in den letzten Jahren seines Lebens an einer Herzkrankheit, an der er letztendlich 1946 starb. Am 22. November, einen Tag vor seinem Tod, wollte Spilliaert nach Ostende zurückkehren. Er sollte seine Heimatstadt jedoch nie wieder sehen. Er starb am 23. November 1946 und wurde nach einer Messe in Ixelles am 27. November in Ostende beigesetzt.

Léon Spilliaert, Nonnen im Wald, 1936, Aquarell auf Papier, 56,5 x 46,5 cm. New York, Hearn Family Foundation.
Léon Spilliaert, Die Feuerschneise, 1944, Aquarell und gehöhte Tusche auf Papier, 63 x 51 cm. Ostende, Mu.ZEE, Sammlung Stadt Ostende, inv. SM000010. Foto Cedric Verhelst.
Léon Spilliaert, Die Hügel, die Heide, 1944, Aquarell, Tusche auf Papier von J.B.Green & Son, 48,2 x 61,3 cm. New York, Hearn Family Foundation.
Léon Spilliaert, Winterliche Bäume, 1942, Aquarell und Tusche auf Papier, 78,5 x 57 cm. Privatsammlung, Dauerleihgabe an Mu.ZEE, inv. B000308. Foto Steven Decroos.

Fußnoten

  • 1

    Brüssel, AHKB, inv. 46.352, Brief von Pierre [Vandervoort] an Léon Spilliaert, 20. Februar 1943.

  • 2

    „La guerre fini tout revivra merveilleusement entre deux vagues.“ Brüssel, AHKB, inv. 46.352, Brief von Pierre [Vandervoort] an Léon Spilliaert, 20. Februar 1943.

  • 3

    Anne Adriaens-Pannier, Spilliaert. De bezielde blik, Gent, Ludion, 2006, S. 210-211.

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